Menschenleer

Landschaftsdarstellungen gehören zu den traditionsreichen Betätigungsfeldern der Fotografie. Zwei Neuerscheinungen aus dem vorigen Jahr bieten dazu zwei recht unterschiedliche Konzepte.

Rainer Zerbacks (* 1958) Band The World without us verblüfft beim Aufschlagen durch eine fast schon gleißende Helle. Im Papier scheint eine Aufheller zu stecken, die Farben der wie überbelichtet wirkenden Fotos sind auf das Nötigste reduziert, was die Landschaften, überwiegend Strände und andere Sandflächen, Meere und Seen, dazwischen aber auch ein Skilift, ein paar Häuser oder Kraftfahrzeuge, in einen pastelligen Nebel getaucht zeigt. Die durch ihre Darstellungstechnik zusammengefassten, strikt menschenleeren Motive haben keinen Titel, sondern sind durchnummeriert. Dafür fehlt in den Bildunterschriften nie der Hinweis auf die analoge Dunkelkammertechnik und die Größe der Abbildungsvorlagen, aber welche Schlüsse soll man aus diesen redundanten Informationen ziehen? Damit verstärkt sich nur der Eindruck eines (tatsächlich mehrere Ausstellungen begleitenden) Katalogs eindrucksvoller Motive, der trotz der formalen Konsequenz der Fotos weg von einer bei dem Titel des Buches erwartbaren kritischen Aussage führt. Assoziationen zu Phänomenen des Klimawandels oder zur apokalyptischen Wirkung einer Neutronenbombe stellen sich (bei mir jedenfalls) nicht ein.

Graubaum und Himmelmeer von Loredana Nemes (* 1972) erinnert mich sofort an Albert Renger-Patzschs Baum-Fotos, insbesondere an das „dendrologisch“ motivierte Bäume-Buch aus dem Spätwerk des Altmeisters (1962): das lichte Schwarzweiß des brillanten Drucks, der schmale weiße Rand rund um die Abbildungen und natürlich die vielen Baum- und Waldmotive, die in klassischer Sachlichkeit dargeboten werden. Aber es gibt auch Unterschiede, so die weitgehende Beschränkung auf Hochformate und auf eine Baumsorte (Buchen), hin und wieder die Gegenüberstellung zweier Motive auf einer Doppelseite und vor allem die Einbeziehung von Meeresansichten. Überhaupt scheinen die frei von allen Zivilisationsspuren gehaltenen Motive irgendwo an der Ostseeküste gefunden worden zu sein, wo Buchenwälder direkt bis an die Abbruchkanten der Kliffs oberhalb des Strandes wachsen. Nemes kommt immer wieder auf diese Landschaft zurück, mit Sonne, bei Nebel, mit Schnee, mal ist die Küstenlinie hinter den Stämmen zu erahnen, mal werden Wolken, Wellen und der weite Horizont der Wasserflächen gezeigt („Himmelmeer), mal Baumindividuen an der Abbruchkante, mal kollektive Formationen von Buchenstämme im Wald („Graubaum“). Der Untertitel „Über das Umdrehen“ deutet an, das Nemes immer wieder einen Wanderweg oberhalb eines Strands gewählt haben könnte und die Motivation zu diesem schönen Buch aus dem ungewöhnlichen, verblüffenden Perspektivwechsel Wald – Meer gezogen hat und damit eine zeitlose Visualisierung des Werdens und Vergehens fand.