Normalität à la Potemkin

Warum Roger Eberhard Häuser und Bäume in einer Straße fotografierte

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Gibt es einen inneren Zusammenhang zwischen Häusern und den Bäumen, die an der Straße davor gepflanzt wurden? Es gab und gibt sicherlich seltsamere und abwegigere Projekte als das von Roger Eberhard (Jg. 1984). Der Fotograf hat für ein Buch Bäume und Häuser einer Straße, der Hasselwerder Straße in Hamburg-Neuenfeld, aufgenommen. Den streng frontalen Architekturportraits der überwiegend nach Norden gerichteten Straßenfassaden bei Abendlicht folgen ebenso streng, aber bei gleißender Sonne und blauem Himmel im Sommer fotografierte Bäume. Es handelt sich um die Bäume, die gegenüber den Häusern am Elbdeich gepflanzt wurden. Das Buch bietet keine vollständige Bestandsaufnahme, wie sie von Straßen schon mehrfach vorgelegt wurde (siehe Ed Ruscha), sondern den Versuch, den Blick auf die Analogien und Unterschiede zu lenken – bei der Natur und bei der Baukultur.

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Aber es gibt noch eine zweite, vermutlich wichtigere Intention dieser Serie. Denn die Häuser haben zwar noch Gardinen, sind aber unbewohnt, wenn auch nicht verwahrlost. Nur einen Steinwurf entfernt wurde 2006/07 die Startbahn Finkenwerder der Hamburger Airbus-Fabrik gebaut. Ein Blick auf Karten und Luftbilder im www zeigt, was den verbliebenen Bürgern von Neuenfeld beim Vollbetrieb der Landebahn zugemutet wird. Wer möchte schon direkt in der Einflugschneise wohnen? So wurden einige, aber vermutlich nicht alle dort stehenden Häuser geräumt, aber nicht abgerissen, was einer Art umgekehrtem Potemkin-Effekt gleichkommt. Die Stadt Hamburg hatte die Gebäude vorsorglich aufgekauft und spiegelt nun Normalität vor. Geplündert, wie bei vergleichbaren Dörfern, die dem Braunkohlentagebau im Wege standen, wurden diese dreidimensionalen Kulissen bislang nicht.

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Am Ende des subtilen, bescheiden in graue Pappe gehüllten Buchs ist ein langes Leporello der Hausportraits eingeklebt, leider aber kein zweites der Nachbarbäume. Diese wurden erst gepflanzt, als die Bewohner auszogen. Auch das sollte zur gepflegten Atmosphäre beitragen und Normalität vortäuschen, die man hier aber bis auf Weiteres im Sinne eines ruhigen, ungestörten Lebens nicht mehr finden wird. Ob sich das Potemkin-Experiment nach Eberhards künstlerischer Intervention verändern wird, weil die vorgetäusche Normalität öffentlich gemacht wurde?

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  • Titel: Norma
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Roger Eberhard
  • Textautor: Stefanie Gerke
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Alexandra Bruns
  • Verlag: Peperoni Books
  • Verlagsort: Berlin
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 88 plus ein Leporello
  • Bindung: Softcover, Schutzumschlag
  • Preis: 36 Euro
  • ISBN: 978-3-941825-47-5


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