Der Grundgesetzverteidiger

Pressefreiheit: Darum kämpft der Fotograf Miklós Klaus Rózsa seit Jahrzehnten und zahlt einen hohen Preis dafür.

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Die monströsen Spähaktivitäten der NSA: In den 1970er Jahren wäre dies allenfalls als kruder Plot eines Science-Fiction-Romans durchgegangen. Die Schweizer spionierten ihr Volk derweil klassisch aus: analog und mit eigens dafür bestelltem Personal. Die Sammelwut der Staatsschützer flog 1989 auf: Am Fichenskandal arbeiten sich die Schweizer bis heute ab. Was verursachte den Eklat? Die Bundesbehörden und kantonale Polizeien bespitzelten jahrzehntelang Personen und Organisationen aus dem linken Umfeld, ohne dazu gesetzlich legitimiert zu sein. Rund 900.000 Staatsschutzakten sind dabei entstanden. Die Akte mit der Nummer 31/553 umfasst rund 3.200 Fichen (Karteikarten) und 1.800 Fotos: sie gehört zu Miklós Klaus Rózsa.

Wie gerät man in den Verruf, Staatsfeind zu sein? Was geht in übereifrigen Geheimdienstlern vor? Wie groß ist die Angst der Schweizer Staatsbürokraten vor Unangepassten, Sozialisten, Migranten? Die Künstler Christof Nüssli und Christoph Oeschger decken mit ihrem Buch Miklós Klaus Rózsa, einem bedeutungsschweren Klotz mit 624 Seiten, genau das auf. Beide waren fasziniert von Rózsas Lebensgeschichte, und dieser öffnete ihnen sein Archiv mit Fotografien und Staatsschutzakten. Es offenbart eine David-gegen-Goliath-Geschichte.

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Rózsa hat sich seinen Ruf als Staatsfeind über die Jahre erworben. Seine Eltern zogen 1956 von Ungarn in die Schweiz, da ist Miklós zwei Jahre alt. Als Teenager sympathisiert er mit der linken Jugendbewegung, bleibt nachfolgend Teil der linken Szene, lässt sich zum Fotografen ausbilden. Ab 1970 arbeitet Rózsa als freier Journalist. Er berichtet über Hausbesetzungen und Anti-Kriegs-Demos, macht Reportagen für linke Zeitungen und Magazine. Der 59-Jährige beschreibt seine Entwicklung so: „Im Laufe meiner Ausbildung zum Fotografen begann ich, die Fotografie als Teil meines politischen Kampfes zu sehen. Mein Ziel war es, mittels Bildern die Wirklichkeit auf der Straße zu zeigen.”

Die Staatsschützer sind entschieden gegen dieses Ansinnen: Sie stufen Rózsa als Gefahr für die innere Sicherheit ein. 1971 legen sie seine Akte an, der letzte Eintrag stammt aus dem Jahr 1989. Der Ungar scheint vor allem der Kantonspolizei Zürich unheimlich zu sein. In den Akten vermerken die Polizisten: „Wurde an vielen Volksversammlungen und Demonstrationen gesehen. (…) Fotografiert die einzelnen Gesichter von Polizeibeamten. Hält Übergriffe der Polizei in allen Einzelheiten fest und behindert dadurch die Arbeit der Polizei. (…) Ist ungarischer Flüchtling und wurde beinahe eingebürgert. Vertritt die Gewalt gegen Sachen und die Zerstörung des Staates.”

Christof Nüssli und Christoph Oeschger lassen die Sichtweisen des Fotografen und der Staatsschützer aufeinanderprallen. Aus ausgewählten Fichen und Fotografien stellen sie eine kunstvolle Collage zusammen. Das Konzept: Ein und dasselbe Ereignis, aus zwei Perspektiven gesehen. Nüssli und Oeschger gehen chronologisch vor: Man kann nachverfolgen, wie Überwachung und Repression groteske Ausmaße annehmen – und mit welchen Mitteln Rózsa dagegenhält. Er schießt nicht nur Fotos, wenn die Polizei brutal gegen Demonstranten vorgeht, sondern versucht auch, Spitzel zu enttarnen. Die Polizei reagiert panisch auf die Rückbespitzelung, prügelt und verhaftet den Störenfried.

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Bei der Hausbesetzeraktion Brot & Äktschn im Juni 2008 knallt es abermals. Rózsa fotografiert das Geschehen, die Polizisten fühlen sich bei der Arbeit gestört. Der Fotograf soll Leine ziehen, widersetzt sich jedoch; die Polizisten verhaften ihn, es kommt zum Prozess. Rózsa wird wegen „Gewalt und Drohung gegen Beamte” zu einer Geldstrafe verurteilt. Um was geht es nun eigentlich? Um einen Grabenkampf zwischen Fotograf und Polizei oder um das große Ganze: Pressefreiheit?

Das ungleiche Machtspiel ging im Juni 2013 in die letzte Runde. Das Bundesgericht urteilte über Rózsas Fall so: Journalisten ist das Fotografieren bei Polizeieinsätzen uneingeschränkt erlaubt. Es stimmt nachdenklich, dass das oberste Gericht der Schweiz eingeschaltet werden muss, um ein Grundrecht zu bestätigen.

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  • Titel: Miklós Klaus Rózsa
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Miklós Klaus Rózsa
  • Textautor: Peter Kamber, Christof Nüssli, Christoph Oeschger, Miklós Klaus Rózsa
  • Herausgeber: Christof Nüssli, Christoph Oeschger
  • Gestalter: Christof Nüssli, Christoph Oeschger
  • Verlag: Spector Books und cpress
  • Verlagsort: Leipzig, Zürich
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 624
  • Bindung: fadengeheftete Broschur
  • Preis: 42 Euro
  • ISBN: 978-3-944669-42-7