Die 68er im Blick der Staatsmacht

Arwed Messmer arbeitete mit Polizeifotos

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Polizei, Verfassungsschutz und andere Staatsorgane haben immer wieder fotografieren lassen, um Beweise zu sichern oder Argumente für oder gegen etwas zu sammeln. Wir haben schon mehrfach Fotobücher vorgestellt, die aus Bildarchiven destilliert wurden, zuletzt zum Beispiel Bücher über den Bildjournalisten Miklós Klaus Rózsa oder über die fleißige Züricher Stadtpolizei und ihren Versuch, den umtriebigen Protestsprayern zumindest in ihren Werken habhaft zu werden.

Der Fotograf Arwed Messmer hat es im Umgang mit historischen Bildarchiven zur Meisterschaft gebracht. Speziell zur Situation im geteilten Berlin und zum Vorgehen der „Staatsorgane“ in der DDR legte er schon, meist gemeinsam mit Annett Gröschner, einige Bücher vor. Wie soll man diese nennen? Sind es Künstlerbücher, sind es dokumentarische Bildbände, sind es Fotobücher? Im jüngsten Band geht es um die Demonstrationen, die Berlin am Ende der 60er-Jahre bewegten. Dazu gab es schon mehrfach Veröffentlichungen, zum Beispiel von Michael Ruetz oder von Bernard Larsson, die den Blick der Reporter auf die Ereignisse zeigten. Messmer geht es jedoch um die umgekehrte Perspektive, also die der Staatsschützer auf die protestierende und demonstrierende Menge, und fand dazu im Archiv der Berliner Schutzpolizei reichlich Material – und ersann dazu eine kongeniale Präsentationsform.

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Messmer wählte aus und gruppierte die Aufnahmen nach Ereignissen, beginnend mit einem Staatsbesuch von John F. Kennedys 1963 und fortgesetzt mit diversen Demonstrationen (zu denen Gröschner in ihren Kurztexten die Hintergründe liefert). Die Kleinbildaufnahmen wurden im Stil eines Kontaktbogens mit den schwarzen Randflächen der Filmstreifen in das annähernd quadratische Format des Buches eingepasst. Dass bedeutet, dass viele Bilder auf der nächsten Seite weiterlaufen oder dort wiederholt werden, wenn wichtige Details verloren zu gehen drohten. Die Sequenzierung erinnert an ein Daumenkino, das Einzelbild geht im Fluss des Gesamtablaufs auf. Dünnes Papier und ein gewisser Grauschleier, der sich über die gedruckten Bilddokumente legt, sorgen für eine Haptik und Optik, die an eine Zeitungsveröffentlichung denken lässt. Im vorderen Innendeckel des fadengeheften, mit einem Kunstledereinband versehenen Buches ist eine Broschüre eingeklebt, in der Texte über historische Hintergründe und zu Messmers Methode zu finden sind. Form und Inhalt sind perfekt in Balance gebracht.

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Das Buch handelt von Politik, Gewalt, öffentlichen Inszenierungen und vom Sinn und vom Unsinn des Demonstrierens. Trotz des Abstands von fünf Jahrzehnten ist es damit so aktuell wie eh und je.

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  • Titel: Berlin 1966 – 1970
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Archiv der Berliner Schutzpolizei, Bildauswahl und Konzeption Arwed Messmer
  • Textautor: Annett Gröschner sowie Florian Ebner, Uta Grundman, Arwed Messmer
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Carsten Eisfeld
  • Verlag: Hartmann Books
  • Verlagsort: Stuttgart
  • Erscheinungsjahr: 2018
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 21,7 x 19,7 cm
  • Seitenzahl: 756 S. plus Beilage mit 36 S.
  • Bindung: Hardcover
  • Preis: 45 Euro
  • ISBN: 978-3-96070-021-0

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