Permanenter Krieg

Vor dem Hintergrund des globalen Kapitalismus konnte man in den Feuilletons zuletzt viel über Karl Marx` Aktualität lesen. Seine fundamentale Religionskritik stand erstaunlicherweise weniger zur Debatte. Marx hat das berühmte Bonmot von der „Religion als Opium des Volkes“ geprägt. Wenn man die Bildstrecke in Meinrad Schades Band Unresolved betrachtet, wird man jedoch das Gefühl nicht los, dass Religion seit Jahrzehnten im Nahen Osten weniger einlullende als aufputschende Wirkung entfaltet.

Schade ist kein gewöhnlicher Kriegsfotograf. Ihm geht es nicht um eine Dokumentation von Kampfhandlungen, sondern vielmehr darum, die Auswirkungen von Konflikten in Langzeitstudien aufzuzeigen. Das hat er schon in dem Vorgängerband Krieg ohne Krieg gemacht, der ihn in die Gebiete der ehemaligen Sowjetunion geführt hatte. Für Unresolved („ungelöst“) hielt sich Schade über sieben Monate in Israel, dem Westjordanland, dem Gazastreifen und dem Golan auf. Er zeigt, wie die „Endlosschleife aus Aufbau, Zerstörung und Wiederaufbau, aus Idee, Wille und Destruktion“, wie also der permanente Krieg im Nahen Osten den Alltag der Menschen auf beiden Seiten prägt und sie zu einem Hass anstachelt, der sich von einer Generation auf die nächste überträgt. Letztlich  das zeigt Schade und darin liegt die ganze Tragik des Konflikts – macht der dauerhafte Kriegszustand die Menschen gegen ein friedliches Zusammenleben geradezu immun. Religion scheint im Nahen Osten also nicht als Ersatzdroge zu wirken, sondern als Brandbeschleuniger, um einen scheinbar unlösbaren Konflikt permanent zu befeuern. Die Führungen beider Seiten – hier der Staat Israel, dort die Palästinensische Autonomiebehörde  zementieren damit ihre Machtansprüche. Friede, das wird hier auf eindrückliche Weise deutlich, scheint für die Herrschenden auf beiden Seiten keine Lösung zu sein, denn dann wären sie weg vom Fenster.

Das erste bzw. letzte Bild zeigt – starkes Symbol – zwei Motive einer Müllkippe im Westjordanland. Das Buch kann von beiden Seiten aus betrachtet werden, die Müllkippe steht immer am Anfang bzw. am Schluss. Der Textteil mit Vorwort und Bilderläuterungen in vier Sprachen (deutsch, englisch, hebräisch, arabisch) findet sich in der Mitte. Im Hebräischen und Arabischen verläuft die Leserichtung ja von rechts nach links. Die erwähnte zerstörerische Endlosschleife wird somit auf sehr sinnfällige Weise gestalterisch verbildlicht.