„Some Works“ in Fotografie und Philosophie

Ein „komplexes Künstlerbuch“ von Ursula Schulz-Dornburg

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Ich bin ein Bewunderer von Ursula Schulz-Dornburgs Arbeit und ich besitze einige ihrer früheren Bücher. Umso neugieriger war ich auf das neue Werk, dass geheimnisvoll als „Objektsammlung“ und nicht als profane Monografie oder Retrospektive in Buchform angekündigt worden war.

Nun wollte ich die Rezension in Angriff nehmen, öffnete die graue, annähernd würfelförmige Schachtel – und war zunächst irritiert über den Füllstand, denn der Inhalt hätte auch in eine Box gepasst, die nur die halbe Höhe gehabt hätte. Oben auf lag ein Doppelblatt mit Inhaltsverzeichnis, dann fand ich, auf blauem Papier, den etwa 70seitigen Essay Feldverlust zu den Lichtbildern. Dann kommt das Gleiche noch in Englisch, dann folgen neun in frequenzmoduliertem Raster, aber doch ziemlich grau von einer Firma, die früher „VEB Maxim Gorki“ hieß, auf empfindliches Dünndruckpapier gedruckte, fadengebundene Hefte mit je einer Werkgruppe der Fotografin. Die Nummern 1 bis 9 sind aufgedruckt und auch eingeprägt, sonst sind die Hefte textlos. Darunter liegen drei gefaltete Blätter mit je einem „Statement“ von Lawrence Weiner, sechs auf Grauppe gedruckte, von Schulz-Dornburg aufgenommene Gemäldereproduktionen zu russischen Arktisexpeditionen, eine Landkarte mit den Stationen von Schulz-Dornburgs Reisen und am Ende eine nach dem Entfalten tischtuchgroße, auf fragiles Seidenpapier gedruckte Reproduktion einer weiteren Fotografie, die, aus einem fahrenden Zug aus aufgenommen, schemenhaft eine Menschengruppe zeigt. Am Boden der Box gibt es dann noch einen Bildkarton mit einem blauen Bändchen, was als Hilfe zur Entnahme des Inhalts zu verstehen ist. Als ich das Ganze wieder eingepackt hatte, blieb ein kleiner blauer Zettel mit einem Brecht-Zitat übrig, was irgendwie zu Schulz-Dornburgs Arbeiten passt und beim Leeren der Schachtel irgendwo herausgefallen war. Das Objekt soll ein „komplexes Künstlerbuch“ sein – nur von wem, für wen, für die Fotografin oder für den Herausgaber, Textautor und Gestalter – oder für beide zusammen? Dem Pressetext ist zu entnehmen, dass das Ganze mit der Fotografin abgestimmt war und gemeinsam mit ihr entwickelt wurde. Die Schachtel erschien anlässlich einer Ausstellung in Berlin in einer Auflage von 1500 nummierten Exemplaren, was im Übrigen zu viel für ein potenzielles Sammlerobjekt ist. Wer es exklusiver wünscht, greife zu einem von 50 Exemplaren der  Vorzugsausgabe mit Originalabzug.

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Wie soll ich nun mit diesem „komplexen Künstlerbuch“ umgehen? Was ist nun wichtiger, das blaue Textheft des Philosophen Wolfgang Scheppe, der zugleich als Buchgestalter arbeitet, der es sogar bis in den Parr-Badger-Kanon geschafft hat, oder die Fotos? In den Zeiten des Selfpublishing ist ja fast nichts mehr an Gestaltung unmöglich. Während früher besondere Designs und Materialien für Fotopublikationen zwar vorkamen, aber doch die Ausnahme im Dienste einer Steigerung der Aussage der Bilder waren, sind sie inzwischen fast schon die Regel, ob es zur Aussage des Buches passt oder nicht: mehrere Papiersorten, handgenähte fragile Bindungen, Beilagen, ungewöhnliche Bedruckstoffe, Schachteln und Schuber, außergewöhnliche Druckverfahren, die Anwendung von Handarbeit und und und. Das aufwändige Scheppe-Schulz-Dornburg-Objekt unter dem Understatement-Titel Some Works reiht sich trotz seiner Herkunft aus einem großen Verlag nahtlos in diese Kategorie ein. In druck- und verarbeitungstechnischer Hinsicht ist es eine Meisterleistung.

Wenn ich nur wüsste, warum das so und nicht anders präsentiert werden musste. Die Fotos geben für dieses Ensemble den Anlass, sind eine Art Katalysator – aber stehen sie wirklich im Mittelpunkt? Das beiliegende Großformat ist, einmal entfaltet, kaum wieder in die Schachtel zu bekommen. Die kleinen Bildhefte sind nicht wirklich den Fotos angemessen – als „Skizzenbücher“ sind sie zu dünn, als Themenhefte zu ätherisch und zu einer Monografie passt der eher grauen Charakter der Bilder auf dem Bibeldruckpapier, bei dem die Vorgängerseite dezent durchscheint, auch nicht. Das Durchscheinen ermöglicht eine Art Echo-Effekt, der nach den manchmal eingestreuten leeren Doppelseiten auch variiert wird oder ganz ausbleibt. Ob der Effekt so wichtig ist, dass man dafür die Nachteile des Dünndruckspapiers unbedingt in Kauf nehmen musste?

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Der Herausgeber zwingt zum Lesen seines Textes, wenn man auf den ersten Blick mit dem vorgelegten Konvolut nichts anzufangen weiß und dann hofft, in seinem Beitrag Andeutungen über die Notwendigkeit der Designmaßnahmen und konkrete Interpretationshilfen zu finden. Letztere gibt es, sind aber gut versteckt. Der weitschweifige und vor allem den Horizont seines Autors absteckende Essay fängt bei Niepce an und endet nach 99 Fußnoten mit Shakespeare. Mir hätte es gereicht, zu den Bildheften konkrete Informationen zu finden: Wann wurde was fotografiert (das steht im Inhaltsverzeichnis) – das Warum hätte vielleicht auch noch angedeutet werden können, vielleicht in einem Interview mit der Fotografin…

Warum wird mir im Falle dieses Buchobjektes der Zugang zu einem Werk der Fotografie durch ein so sperriges wie affektiertes Publikationskonzept verstellt? Ein Fotobuch ist (kaum anders als ein Künstlerbuch) nicht nur durch die darin enthaltenen Fotos bzw. Kunstwerke definiert, sondern auch und gerade durch die Art und Weise, wie diese präsentiert werden. Das ist der vor allem dienende Job des Gestalters und des alles immer wieder aufs Neue in Frage stellenden Herausgebers oder Kurators. Bei Some Works liegt alle Vermittlung in einer Hand. Eine Schachtel wird mit filigranen Drucksachen halb gefüllt und (fast) die ganze Geistesgeschichte des Mediums wird bemüht, um das Werk einer „diskreten“ Fotokünstlerin zur Wirkung zu bringen. Hier wird doziert, aber nichts erzählt. Respekteinflößend. Aber ohne Seele.

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  • Titel: Some Works
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Ursula Schulz-Dornburg
  • Textautor: Wolfgang Scheppe
  • Herausgeber: Wolfgang Scheppe
  • Gestalter: Wolfgang Scheppe
  • Verlag: Hatje Cantz
  • Verlagsort: Ostfildern
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: ca. 400
  • Bindung: Schachtel mit diversen Drucksachen
  • Preis: 78 Euro
  • ISBN: 978-3-7757-3779-1

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