Pieters Panoptikum

Mit 36 Jahren ist der Südafrikaner Pieter Hugo bereits reif für eine Retrospektive

Hugo_Cover

Wenn man Afrikaner fragt, ob sie Pieter Hugo für einen der ihren halten, verziehen diese spöttisch das Gesicht. Pieter Hugo, Südafrikaner, Fotograf, 1,98 Meter groß, rotblonde Haare, hat das schon tausendmal erlebt. Sein Malus: Er gehört einfach nicht dazu. Sein Bonus: Das ist nicht die schlechteste Ausgangssituation, um gute Bilder zu machen. Denn der fotografische Autodidakt hat ein feines Gespür für Außenseiter, für randständige Existenzen der subsaharischen Welt. Mit dem Fotoband This Must Be The Place legt er jetzt das (vorläufige) Resümee seiner Fotografenlaufbahn vor und zeigt Serien aus den Jahren 2003 bis 2012.

Die Karriere des Pieter Hugo kommt 2007 erstaunlich in Fahrt. Nur einige Monate zuvor hatte er die Hyänenmänner entdeckt: Junge Nigerianer, die knurrende Tüpfelhyänen an Eisenketten durch die Straßen der Städte zerren. Die Passanten rennen in Scharen herbei und lassen sich von den geschäftstüchtigen Jungs ganz nebenbei Pulver und Amulette andrehen. Das wohl exotischste Start-up der Welt. Hugo packt die Serie in Buchform und veröffentlicht sie 2007 unter dem Titel The Hyena & Other Men. Die Fotowelt ist elektrisiert, Kritiker feiern das Buch als epochalen Essay. Politisch Korrekte werfen dem Südafrikaner vor, er beute seine Protagonisten aus. Listige Abwertungen.

Zwei Jahre später legt Hugo einen neuen Fotoband vor, diesmal geht es um Nollywood, die Filmfabrik Nigerias. Die Bilder des gleichnamigen Buchs sind ziemlich schräg. Ein Anzugtyp erbeutet das Riesenherz eines Stiers, der mit aufgeschlitztem Schlund auf dem Boden liegt. Feinster Splatter. Einer großbusigen Lady steckt ein ellenlanger Dolch in der Brust. Blutiger Horror. Bis zu 2.000 solcher Trash-Filme werden jährlich in „Nollywood“ gedreht, ein florierender Industriezweig mitten in Afrika. Auch dieses Buch wird hymnisch gefeiert, doch jetzt hat Hugo seinen Stempel weg: Er ist der Dokumentarist des hyperexotischen und bizarren Afrikas. Voreilige Schlüsse.

2011 schon folgt der Fotoband Permanent Error, und der Mann vom Kap zeigt damit, dass er auch anders kann. Der Schauplatz diesmal: Agbogbloshie, die größte Elektromülldeponie in Afrika. Jugendliche verkokeln hier den westlichen Schrott, um an die Rohstoffe der Platinen und Drähte zu kommen, und die Händler von Accra zahlen ihnen ein paar Dollar dafür. Ein Höllenjob. Doch Hugo muss sich jetzt Schmähkritik gefallen lassen: Ist er nun der Elendspornograf? Fieser Rufmord.

Looking Aside

Looking Aside

Messina/Musina

Messina/Musina

Was der 36-jährige Südafrikaner meist verschweigt: Seine Arbeitsweise ist akribisch, zeitaufwendig und höchst kooperativ. Und seine Protagonisten sind eines gewiss nicht: unmündige, ahnungslose Trottel. Wenn man Interviews mit Pieter Hugo liest, lernt man einen ernsthaften Mann kennen, einen, der lange an Perspektive, Bildaufbau und Ästhetik feilt. Nichts verabscheut der Südafrikaner so sehr wie Gefühlsduselei, entsprechend distanziert und nüchtern ist sein Blick. Konsequent ist auch die Entscheidung für den dokumentarischen Stil, wobei Hugo die Fotos ganz augenscheinlich komponiert und eher den plakativen Bildaufbau sucht. Dies belegen nicht nur die erwähnten Bestseller, sondern auch andere Serien, die This Must Be The Place enthält. Sehenswert sind insbesondere Looking Aside (2006 als Buch erschienen), Messina/Musina (ebenfalls 2007 publiziert) oder die aktuelle biografische Arbeit Kin.

Messina/Musina

Messina/Musina

Kin

Kin

Postkolonial, sozialkritisch, politisch: Journalisten möchten Pieter Hugo gern in diese Schublade drücken, doch dieser weist solche Zuschreibungen weit von sich. Das würde sein Werk zu eindimensional und leicht entschlüsselbar machen. Aber ist er wirklich unpolitisch? In einem Interview amüsiert er sich über die Blasiertheit der Westler, die den Hyänenmännern gern mal den Tierschutz vorbeischicken würden. Sein Kommentar dazu: „Wir sollten uns fragen, warum diese jungen Männer darauf angewiesen sind, wilde Tiere einzufangen, um in einem Land zu überleben, das der sechstgrößte Ölexporteur der Welt ist.”

  • Titel: This Must Be The Place
  • Untertitel: Selected Works 2003-2012
  • Bildautor: Pieter Hugo
  • Textautor: TJ Demos, Aaron Schumann
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Marteen Evenhuis
  • Verlag: Prestel
  • Verlagsort: München
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 228
  • Bindung: Leinen, illustrierter Schutzumschlag
  • Preis: 49,90 Euro
  • ISBN: 978-3-7913-4689-2

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