Schlechte Nachrichten

Passanten in der U-Bahn oder in anderen öffentlichen Verkehrsmitteln sind ein beliebtes und traditionsreiches Motiv für Fotografen; vorbildhaft wirkte Walker Evans´ 1966 publizierte Arbeit „Many are called“ mit Fotos von 1938-41. Der versteckten Kamera offenbarten sich ernüchternde Blicke in das Alltagsgesicht der Mitfahrer.

Unter dem Eindruck des Beinahe-Zusammenbruchs der Börsen 2009 war der niederländische Fotograf Reinier Gerritsen in New Yorks Finanzviertel zum Fotografieren mit der U-Bahn unterwegs. Das Layout seines Buches erinnert an die Fenster eines vorbeifahrenden Zuges, in die man flüchtig hineinschauen kann. Auf den Fotos, bei deren Betrachtung man sich jetzt selbstverständlich Zeit lassen kann, sieht man keine fröhlichen Gesichter, auch keine entsetzten oder panischen, sondern nur gedankenverlorene, betroffene, nachdenkliche Minen. Ein ungläubiges Staunen der Passagiere zieht sich durch die ganze Bildstrecke, die an zwei Stellen für auf Umweltschutzpapier gedruckte Inserts mit dem Textbeitrag unterbrochen wird. Die aus geringer Distanz aufgenommenen Bilder sagen, für sich genommen, nichts über die Stimmung an der Börse aus, aber das Konzept des Fotografen bringt sie mit den Ereignissen an der Wall Street zusammen. Dieser (Synergie-) Effekt hätte sich genauso gut vor dem Hintergrund eines Erdbebens, eines Terroranschlags oder des Todes eines Popstars einstellen können, denn es ist nicht zu erkennen, welche Nachrichten die Dargestellten gerade über ihr Handy oder über die Lektüre der Zeitung erreichten. Abgesehen davon ist Gerritsen eine faszinierende Studie über Großstadtbewohner gelungen, Menschen, die in aller Öffentlichkeit allein und bei sich sind.