Sehen – Hinsehen

Endlich ein Buch über Abisag Tüllmann

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Die Fotografin hieß eigentlich Ursula Eva, bekam aber dann von einem ihrer frühen Arbeitgeber den Namen Abisag. Dieser seltene, alttestamentarische Vorname dürfte immer wieder zur Irritationen geführt haben, was sich jetzt aber endlich ändern wird. Abisag Tüllmann (1935-1996) war eine der wichtigsten Fotografinnen der Bundesrepublik, doch das Wissen um ihr riesiges Lebenswerk war sehr beschränkt. Unter der Federführung von Martha Caspers vom Historischen Museum in Frankfurt entstand nach langer und akribischer Vorbereitung und unter Sichtung des Nachlasses eine Retrospektive (24.11.2010-27.3.2011 Frankfurt, 17.6.2011-18.9.2011 Berlin), die von einem dicken Buch über Leben und Werk der Frankfurter Fotografin begleitet wird. Bekannt wurde sie mit dem Buch „Großstadt“, das 1963 erschien und das zu den Spitzenwerken unter den fotografischen Städteportraits zu rechnen ist – in Deutschland und darüber hinaus. Das von Hans Michel gestaltete Buch über Frankfurt wird in einem kurzen Aufsatz von Katharina Sykora einer präzisen Analyse unterzogen. Es wird sogar ein Blick in die Maquette des Buchs gestattet! Sykoras Ausblick in Anmerkung 7 sollte eine Steilvorlage für alle Kunsthistorikerinnen oder Medienwissenschaftler sein, denn über das komplexe Großstadt-Buch und seine Vorbilder, Parallelen und Nachwirkungen ließe sich problemlos eine ganze Doktorarbeit schreiben. Neben der bildjournalistischen Arbeit war die Theaterfotografie das zweite Standbein Tüllmanns, was sowohl die Dokumentation von Aufführungen umfasste als auch die Gestaltung von Programmbüchern. So wuchs sich die eine oder andere dieser Publikationen zu einem veritablen Fotobuch aus, beispielsweise die zu Gorkis „Nachtasyl“ (1992), einer eindrucksvollen Studie über Obdachlosigkeit in der Großstadt.

In der Tüllmann-Monografie werden reichlich Bildbeispiele aus dem Archiv der Fotografin gezeigt, entsprechend den beiden Schwerpunkten in zwei Bildblöcken. Die im Anhang zu findende Liste mit den verwirrend vielen Bild-Publikationen hätte eine mutigere Gewichtung zur besseren Auffindbarkeit gut vertragen können – unter dem Autorennamen Tüllmann steht nur das Großstadtbuch! In dem ansonsten vollständigen Anhang mit ausführlichem Lebenslauf, Verzeichnis der von Tüllmann fotografierten Theaterinszenierungen, Literatur- und Abbildungsverzeichnis bleiben im Übrigen keine Fragen offen. Bis auf eine. Warum eigentlich nannte ihr Kollege die junge Fotografin Abisag? Schade, dass wir sie nicht mehr danach fragen können.

  • Titel: Sehen – Hinsehen
  • Untertitel: Bildreportagen und Theaterfotografie
  • Bildautor: Abisag Tüllmann
  • Textautor: Martha Caspers, Monika Haas, Barbara Lauterbach, Kristina Lowis, Ulrike May, Katharina Sykora
  • Herausgeber: Martha Caspers
  • Gestalter: 
  • Verlag: Hatje Cantz
  • Verlagsort: Ostfildern
  • Erscheinungsjahr: 2010
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 304
  • Bindung: ilustriertes Hardcover
  • Preis: 29,80 Euro
  • ISBN: 978-3-7757-2708-2

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