Temporärer Stillstand in vier Bänden

Andreas Gehrkes Typologie verlassener Firmensitze

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Sagt ein leeres Bürogebäude etwas über Charakter und Rang der vormals von hier aus agierenden Firma aus? Diese Frage stellt sich bei Betrachtung der vierbändigen Serie, die Andreas Gehrke über die nach Umzug oder Insolvenz frei gewordenen, aber von einem Nachfolger noch nicht wieder in Benutzung genommenen Firmensitze aus. Gehrke fotografierte in den Räumen zweier Standorte des Spiegels in Hamburg, bei Quelle in Nürnberg und IBM in Stuttgart. Die Fotos haben als Gemeinsamkeit einen hermetischen, fragmentierenden Blick. Über die städtebauliche Einordnung der Gebäude erfährt man nichts, je eine Gesamtaufnahme muss reichen, um es zu identifierbar zu machen. Der normale Betrachter kennt ja die Firmensitze normalerweise nur von außen und aus der Ferne. Gehrke verschaffte sich Zugang zu den aufgeräumten, erst kurz zuvor verlassenen, keinesfalls verwahrlosten Innenräumen und versuchte dort, dem Wesen der Wirtschaftswunderarchitektur auf den Grund zu gehen. Dabei reichte ihm die Argumentation mit Bildern aus, über Architekten oder die Firmengeschichte gibt es auch in der losen, für alle vier Bände identischen Textbeilage keine Informationen – sieht man einmal von der im Titel der Bücher angegebenen Zeitspanne der Nutzung ab.

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Die Einbände der Bücher erinnern in ihrer Farbigkeit und Haptik an Aktendeckel. Die Aufnahmen stehen jeweils auf der rechten Seite, links ist als Titel ein Kürzel aus Archivnummer und einem Hinweis auf die firmeninternen Bezeichnung des Gebäudes zu finden. Die eher kleinformatigen farbigen oder schwarzweißen Bilder sind von einem breiten weißen Rand umgeben und stehen jeweils in der Mitte der Seite. Die Arbeit darf man sicherlich in die Reihe der Architekturtypologien stellen, denn die identische Ausstattung und Gestaltung schafft für die Firmen, genauer: deren ehemaligen Behausungen, Vergleichsbedingungen. Ob die sehr nüchternen, distanziert wirkenden Fotos nun Aussagen über das Wesen von Großbetrieben, über deren Aufstieg und Niedergang, über die Arbeitsbedingungen, über die hergestellten Produkte, über architektonische Qualität, über die Wirtschaft in Deutschland enthalten oder erlauben, mag jeder für sich entscheiden. Vor allem aber zeigen sie, wie im Begleittext formuliert wird, ein „Jetzt“, einen unwiederbringlichen Moment, ein Kriterium, das freilich für alle Fotografie grundlegend ist. Für die von der Textautorin empfohlene „genauere Betrachtung“, damit man „all das“ sehe, was auf den Bildern „nicht gezeigt wird“, finde ich die Fotos zu klein wiedergegeben und mit zu wenig Empathie gestaltet.

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  • Titel: Der Spiegel 1969 - 2011
 Hamburg, Brandstwiete

 – Der Spiegel 1995 -2011
 Hamburg, Dovenfleet

 (zwei Bände)
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Andreas Gehrke

  • Textautor: Christine Dissmann
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Katrin Oeding
  • Verlag: Drittel Books
  • Verlagsort: Berlin
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 2 x 48
  • Bindung: Klappenbroschur
  • Preis: 28 Euro
  • ISBN: 978-3-9815735-0-3

  • Titel: IBM Campus 1972 - 2009 Stuttgart-Vaihingen
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Andreas Gehrke

  • Textautor: Christine Dissmann
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Katrin Oeding
  • Verlag: Drittel Books
  • Verlagsort: Berlin
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 56
  • Bindung: Klappenbroschur
  • Preis: 20 Euro
  • ISBN: 978-3-9815735-1-0
  • Titel: Quelle Versand 1956 - 2009 Nürnberg
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Andreas Gehrke

  • Textautor: Christine Dissmann
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Katrin Oeding
  • Verlag: Drittel Books
  • Verlagsort: Berlin
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 64
  • Bindung: Klappenbroschur
  • Preis: 20 Euro
  • ISBN: 978-3-9815735-2-7

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