Vorübergehende Selbstvergessenheit

Julia Baier taucht in die Welt japanischer Badehäuser ein

Vorübergehende Selbstvergessenheit

Blättert man durch die Bücher der jungen japanischen Fotokünstlerin Hiromix, so erscheint ihr Land vor allem: laut, grell, bunt und von jungen Menschen bevölkert. Ganz anders der Blick von Julia Baier. Die deutsche Fotografin sucht und findet in Japan Orte der Ruhe und Kontemplation, offenbart eine Welt fernab des Jugendkultes und fotografiert diese konsequent schwarzweiss. Im Sommer 2005 bereiste die 37-Jährige zahlreiche Städte, darunter Osaka, Nagano, Osaka und Tokyo, und war, anders als viele Zeitgenossen, nicht an weiteren Dokumentationen des modernen, schrillen Japans interessiert. Baiers Blick erfasst vielmehr die Schönheit des Landes, zeigt die Spannung zwischen Tradition und Moderne – und dies überaus klug und sensibel.

Bereits in der 2002 entstandenen Fotoserie „Die öffentliche Badeanstalt in Deutschland“ interessierte Julia Baier sich für Orte, die Privates und Intimes offenbaren, aber dennoch Anonymität und Flüchtigkeit versprechen. Das Flüchtige und Vergängliche ist auch das Thema in „Sento“, ihrem ersten 2008 erschienenen Fotobuch. Sentos, die traditionellen japanischen Badehäuser, sind schwindende Orte: sie sind marode, für die Betreiber meist unrentabel und ziehen kaum junge Badegäste an. Julia Baier wirft einen melancholischen Blick auf eine im Untergang befindliche Kultur. In Japan verdrängen moderne Erlebnisbäder und Wellness-Oasen die tradierten Badeorte – ein Trend, dem die Fotografin allerdings wenig abgewinnen kann.

Unabhängig und widerständig ist nicht nur ihre Themenwahl, sondern auch das fotografische Prinzip: Julia Baier fotografiert die Sentos konsequent in Schwarzweiss. Dies ist klug, denn es unterstreicht das Grundthema des Buches: das herrlich Herausgefallene aus der Zeit. „Im Sento scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Viele Stammgäste sind alt (…). Die meisten kennen sich, beiläufig tauschen sie Neuigkeiten aus. Der kleine Plausch trägt zur familiären Atmosphäre bei und verleiht dem Sento einen besonderen Charme“, schreibt die Japanologin Rita Zobel im ergänzenden Essay des Buches.

Julia Baier fängt diese Atmosphäre gekonnt ein – selbstvergessen, entspannt und verträumt wirken die Badenden. Dies ist erstaunlich. Wohlgemerkt: Die Fotografin sprach kein Wort japanisch, mischte sich als nackte Europäerin unter nackte badende Japanerinnen und wirkte, trotz Kamera, nicht als Eindringling. Doch nicht nur aus diesem Grund faszinieren Julia Baiers Fotografien. Die Bilder sind ästhetisch und elegant, ohne dass sie in einer eindeutig kompositorischen Absicht entstanden sind. Viele Gesten, Bewegungen und Handlungen wirken, als wären sie in eine Choreografie eingebunden. Aber Julia Baier versteht sich nicht als Bildregisseurin: „Es wäre für mich ohne Reiz, Bilder zu inszenieren“, ist im abgedruckten Gespräch zu lesen, das sie mit dem Fotografen Peter Bialobrzeski führte.

Neben aller Ernsthaftigkeit durchzieht das Buch auch ein leichter, heiterer Grundton: Etwa wenn eine ältere Frau sich mit Karaoke die Zeit vertreibt oder sich eine junge Badende eine Daily-Soap ansieht. Ja, auch das kann man in traditionellen Sentos finden: Unbeholfene Versuche, sich mit technischer Ausrüstung ein modernes Antlitz zu verleihen. Doch Sentos spiegeln den universalen Aspekt der condition moderne – ihr Verschwinden ist unausweichlich, ihre Bedeutung als Kommunikationsort längst Vergangenheit.

  • Titel: Sento
  • Untertitel: Das japanische Badehaus
  • Bildautor: Julia Baier
  • Textautor: Essay von Rita Zobel, Gespräch mit Peter Bialobrzeski
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: 
  • Verlag: Peperoni Books
  • Verlagsort: Berlin
  • Erscheinungsjahr: 2008
  • Sprache: deutsch, englisch, japanisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 
  • Bindung: Broschur
  • Preis: 28 Euro
  • ISBN: 978-3-9809677-6-1

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