Zwei Bier für Haiti

Nathalie Mohadjer über Obachlose

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Hinter dem seltsamen Buchtitel verbirgt sich eine ethnologische Studie ganz besonderer Art. Die Erklärung wird in Form eines kurzen Textes geliefert: „Als im Januar 2010 ein Erdbeben Haiti erschütterte, startete Margitta den Spendenaufruf Zwei Bier für Haiti unter ihren Nachbarn im Obdachlosenheim. Jeder Bewohner sollte zwei Bier weniger an einem Tag trinken. Insgesamt kamen 15 Euro zusammen.“ Nathalie Mohadjer (* 1979) hat in dem Heim in Weimar fotografiert: Bewohner, kuriose Stillleben aus den kargen Zimmern, ein Bild des „Hauses“ am Anfang, ein Blick aus dem Gebäude in die Landschaft am Ende. Einige Bewohner sind erkennbar, andere wenden sich ab, verstecken sich oder halten Blumen vor das Gesicht. Jedenfalls scheinen sie die Anwesenheit der Fotografin zum Anlass genommen zu haben, sich selbst zu inszenieren, um der Welt da draußen ein Bild von sich und ihrer Situation zu vermitteln – unabhängig davon, ob man sich auf den Fotos identifizierbar darstellte. Die Einrichtungsgegenstände verstärken den Eindruck, dass die dort lebenden Menschen ein Stück Individualität bewahren wollen. So ist auch der dem Buch seinen Namen gebende Spendenaufruf nicht weniger als der Versuch, trotz der Lage teilzuhaben am sozialen Leben, der Welt zu zeigen, dass man auch noch da ist und dass man noch nicht abzuschreiben ist.

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Das ziemlich dünne Buch ist schlicht gestaltet. Etwas die Hälfte der Bilder sind kleinformatig im Carte-de-visite-Format von 6 x 9 cm wiedergegeben, die restlichen in 9 x 13 oder 11 x 17, also in Größen, wie man sie aus privaten Fotoalben kennt. Allerdings sind die Bilder durch die sie umgebenden Weißräume isoliert und nicht wie in einem Album platzsparend dicht gedrängt angeordnet. Zwei Texte beschließen die Bildstrecke – bei beiden Autoren werden die Namen mit dem Zusatz versehen, dass sie Kunsthistoriker und Kurator seien – ist das wichtig oder soll das ein Zeichen für besondere Qualität sein? Jedenfalls zeigt das, dass die Arbeit von Mohadjer als Kunst verstanden werden will. Das Fotografieren von Menschen aus gesellschaftlichen Randgruppen ist ja fast so alt wie die Fotografie. Früher war so etwas ein unterhaltendes „Genre“ oder fungierte als soziales Dokument zum Beweis ungünstiger Lebensumstände. Mohadjer gibt den Obdachlosen eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung und macht daraus Kunst, die weder voyeuristisch noch als flammende Anklage daherkommt, und balanciert damit erfolgreich auf einem schmalen Grat.

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  • Titel: Zwei Bier für Haiti
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Nathalie Mohadjer
  • Textautor: Emanuele Quinz, Silke Opitz
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Gesa Hansen
  • Verlag: Kehrer
  • Verlagsort: Heidelberg, Berlin
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 80
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 29,90 Euro
  • ISBN: 978-3-86828-274-0

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