Zwei Seiten einer Medaille

Eva Leitolf schickt Postkartengrüße von den Rändern Europas

Leitolf_Cover

Die Mappe mit 20 auf festen Karton gedruckten Bildtafeln ist als Zwischenbericht zu einem Großprojekt gedacht, das die Fotokünstlerin Eva Leitolf (* 1966) seit einigen Jahren verfolgt. Sie fährt zu Orten, an denen Flüchtlinge versuchen, ins goldene Europa einzureisen. Den dort entstandenen Bildern sieht man diese schicksalhaften Verknüpfungen aber nicht an: ein Hafen mit zwei schräg liegenden Schiffen, der Blick in eine Landschaft mit Plastikstühlen im Vordergrund, ein Orangenbaum, dessen Früchte nicht abgeernet wurden, ein Jägerhochstand. Nur das eine Bild mit einer Stacheldraht bewehrten Betonmauer eines ungarischen Asylantenlagers spricht eine deutlichere Sprache. Sehr vage Assoziationen stellen sich ein, die eine gewisse Dramatik erst durch die auf den Rückseiten der Tafeln zu findenden, aus Tagebuchnotizen, Zeitungsnachrichten und anderen Dokumenten in nüchterner Diktion formulierten Erläuterungstexte verliehen bekommen. Die Schiffe im Tsunami gestrandet? Nein, in Lampedusa. In der weiten Landschaft, einem griechischen Grenzsperrgebiet, sind Scheinwerfer und eine Art Wachbude zu erkennen, die Orangen fielen vom Baum, weil die illegalen Arbeitsmigranten zum Pflücken fehlten. Der Pressetext des Verlages nennt das „das Spannungsfeld zwischen dem, was sichtbar ist, und dem, was vorstellbar wird“.

Leitolf_Schiffe

Die Bilder haben als Titel kryptische Archivsignaturen, die Mappenform mit den losen Tafeln erinnert nicht nur an Archivgut, sondern auch an Wandzeitungen bzw. Lehr- und Anschauungsmaterial, wie es beispielsweise in der DDR zu Schulungs- und Propagandazwecken hergestellt wurde. Das Ganze funktioniert nur im Zusammenspiel vom Zeigen der harmlos wirkenden Tatorte mit dem Lesen der (in der deutschen Version leider aus Layoutgründen in Grau gedruckten) Texte auf Basis eines Kontextualisierungskonzeptes. Dazu muss man jede Tafel umdrehen wie eine Münze. Jedes Blatt, jedes Motiv, steht für sich. Eine Reihenfolge wie im gebundenen Buch braucht es nicht und wenn man die Arbeit wirklich als Wandzeitung zeigen wollte, bräuchte man zwei Exemplare – eines für die Bilder, eines für die Texte. Aufgrund des notwendigerweise engen Zusammenhangs von Bild und Text ist Leitolfs Spurensuche jedenfalls eher medienkritisch-konzeptuell als journalistisch angelegt.

Leitolf_Orangen

Leitolf_Orangen_Text

  • Titel: Postcards from Europe 03/13
  • Untertitel: work from the ongoing archive
  • Bildautor: Eva Leitolf

  • Textautor: Eva Leitolf

  • Herausgeber: 
  • Gestalter: wortundform
  • Verlag: Kehrer
  • Verlagsort: Heidelberg und Berlin
  • Erscheinungsjahr: 2013
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 29,7 x 40 cm
  • Seitenzahl: 20 Blatt
  • Bindung: lose Tafeln in Mappe
  • Preis: 48 Euro
  • ISBN: 978-3-86828-398-3

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