Wien hat es schon, Paris bekommt es noch und nun betritt eine weitere Stadt die Fotobuchbühne: Köln. Köln hat nicht nur (immer noch) eine lebendige Kunstszene, sondern ist auch Ort der Messe „photokina“, Sitz der „Deutschen Gesellschaft für Photographie“ sowie einiger Verlage und eines der wenigen Museen, die sich der Fotografie verschrieben haben (Fotografische Sammlungen im Museum Ludwig). Köln hat den Dom als herausragendes Motiv und Köln war die Wirkungsstätte zweier der wichtigesten deutschen Fotografen überhaupt: August Sander und Chargesheimer. Es ist also anzunehmen, dass es reichlich fotografisch illustrierte Bücher über Köln und aus Köln gibt, die den Versuch einer Sichtung lohnten.
Zwei Kölner, der ehemalige Stadtmuseumsdirektor Werner Schäfke und der Antiquar Roman Heuberger, taten sich zusammen und holten noch zwei weitere Kölner ins Boot: die Fotografen und Fotobuchkenner Wolfgang Vollmer und Eusebius Wirdeier. Sie sammelten, ordneten und publizierten jetzt als erstes Ergebnis ein Buch von 288 Seiten in einem der traditionsreichen Kölner Fotobuchverlage. Mehrfach wird im Text betont, dass man gern für eine zweite Auflage die sicherlich sich auftuenden Lücken in der Bücherschau schließen wolle, man möchte doch bitte entsprechende Anregungen an die Autoren übermitteln. Natürlich wird jedes Buch über Fotobücher Lücken haben, vor allem dann, wenn eine subjektive Auswahl präsentiert wird. Aber hier sollte möglichst alles erfasst werden, was zum Thema Köln in Fotobüchern vorhanden ist, vor allem diejenigen Stücke, bei denen Kölner Autoren, Künstler oder Verlage mitgewirkt haben. Der Begriff „Fotobuch“ wurde nicht zu streng definiert, denn es werden auch einige Postkarteneditionen oder DVD-Medien vorgestellt. Einige Bücher waren den Autoren nicht zugänglich, andere, die normalerweise in der Ramschabteilung des Antiquars ihr Billigpreisdasein fristeten, mutierten durch die „Kontextualisierung“, das Bilden eines Gesamtzusammenhangs, von bunten Ladenhütern zu interessantem Forschungsmaterial (S.12).
Die Anhänger der reinen Lehre werden also, mit der High-End-Auswahl von Roth oder Parr/Badger im Hinterkopf, irritiert den Kopf schütteln über derart viele Bildbände. Während normalerweise ein thematisch passendes Angebot mehr oder weniger automatisch in das Buch gelangte, behielten sich die Autoren durch die Auswahl der Abbildungen eine subjektive Gewichtung vor (S.11). Auch die fünf eingestreuten Exkurse wirken dem bloßen Aufzählen von bibliografischen Daten entgegen: Abschweifungen zu Chargesheimers und Hermann Claasens Beschäftigung mit der Straße „Unter Krahnenbäumen“, zu August Sanders Architektur- und Portraitwerk, zum Thema Buchentstehung (Eusebius Wirdeier) oder, der Höhepunkt des Ganzen, über „Bücher, die die Kölner nicht wollten“ (Wolfgang Vollmer über fünf wirklich bemerkenswerte Werke).
Das Buch ist in eine Einleitung, sechs reguläre Kapitel, fünf Exkurse, einen Nachtrag und einen Anhang mit Literaturverzeichnis und Register gegliedert. Die Themenpalette reicht von aktuellen Bildbänden seit 1854, retrospektiven Zusammenstellungen, Köln in Trümmern (vom Zweiten Weltkrieg bis zum eingestürzten Stadtarchiv) über den omnipräsenten Dom. „Köln lebt“ und „Köln im Detail“ sind originellerweise die weiteren Abschnitte betitelt. Die Bücher sind jeweils chronologisch nach ihren Erscheinungsjahren sortiert, meist sind die kurzen, gern aus Zitaten (Vorworte, Klappentexte, Sekundärliteratur) gespeisten Texte in der unteren Hälfte der Doppelseiten zu finden, oben gibt es dann Abbildungen.
Bei Buch I,128 wollten sich die Herausgeber nicht für eine Abteilung entscheiden; es kehrt als Nr. III,34 wieder. Manche Texte verraten Insiderkenntnisse (ein Foto in Buch I,69 zeigte 1953 die Wohnung von dessen Herausgeber!), manche weisen auf Desiderate der Forschung hin (Bücher E 3,4 oder IV,44) und manches wiederholt sich, zum Beispiel, dass der als Auftraggeber, Anreger oder Autor offenbar lange Zeit unverzichtbare Hans Schmitt-Rost Leiter des Kölner Nachrichten- oder Presseamtes war. Dass Nr.I,46, ein Werk namens „12 Ansichten Köln“, den Autoren nur in einer Version mit 11 Tafeln vorlag, „die zwölfte Ansicht fehlt“, gibt zu denken… Viele Bücher blieben ohne Abbildung. Dafür verwöhnen die Autoren hin und wieder mit dem Zeigen von raren Vorzugsausgaben. Im Krahnenbäumen-Kapitel bleiben (fast) keine Fragen offen, sei es zur Papierwahl bei den beiden Reprints oder zu den Neu- und Antiquariatspreisen. Sogar das Original-Typoskript von Bölls Text zu „Unter Krahnenbäumen“ wird im Faksimile gezeigt. Die Bauchbinde des Buches bleibt allerdings unerwähnt. Die Einschätzung, dass Claasens „Kirmes UKB 1950“ antiquarisch „beachtliche Preise“ erziele (S.206), darf man angesichts der angegebenen Spanne von 35 bis 55 Euro (Stichtag: 1.4.2010) im Sinne der Anbieter als Hoffnung auf bessere Zeiten interpretieren, im Sinne der Käufer als Glücksfall.
Immer wieder überrascht Schäfkes und Heubergers Buch mit solchen Details. Ihr Werk handelt nicht von der großen weiten Welt des Fotobuchs, sondern von dem fotografischen, verlegerischen und gestalterischen Mikrokosmos am Beispiel eines einzigen, zugegeben vielgestaltigen Objektes. Und dies nicht mit der Idee, vor dem Hintergrund eines wissenschaftlich möglichst elaborierten Konzeptes zu agieren (vgl. Wien), sondern in dem Bestreben, den Reichtum der Bildbandkultur einer Großstadt zusammenzusuchen und korrekt bibliografiert inkl. Nachauflagen und Neuausgaben anschaulich zu präsentieren. So wie es schon Dutzende Ausstellungen und Untersuchungen zu druckgrafisch reproduzierten, gemalten oder fotografierten Stadtansichten gegeben hat, wird man sich künftig auf ähnliche Vorhaben einzustellen haben, die sich auf fotografisch illustrierte Bücher stützen. Köln mit seiner reichen Tradition war dafür ein guter Einstieg. Mit den Autoren hofft man auf die Erfüllung ihres Wunsches nach einer zweiten, erweiterten Auflage.* Auch wenn es damit nicht klappen sollte: An der Schnittstelle von Heimatgeschichte, Antiquariatskatalog und großer Fotokunst angesiedelt, macht schon die erste Auflage Lust zum Nachlesen, Schauen und Stöbern. Schöner Nebeneffekt: Die Antwort auf die Frage, was nun ein „Fotobuch“ eigentlich ist oder eben nicht ist, wird künftig angesichts solcher materialreichen Spezialuntersuchungen wie sie für Köln und Wien vorliegen, einfacher werden.
* Hier schon mal ein Nachtragsvorschlag und ein Wunsch: Jakob Kneip, Der Kölner Dom, Fotos (überwiegend) von Hermann Claasen, Staufen-Verlag Köln 1939. Und beim nächsten Mal bitte Buch Nr. IV, 36 unbedingt mit Abbildungen zeigen. Ein Nachtragsband, jetzt mit Kneip, aber ohne eine Wiederaufnahme der schon genannten Titel, erschien 2015!
- Titel: Köln und seine Fotobücher
- Untertitel:
- Bildautor:
- Textautor: Werner Schäfke, Roman Heuberger (mit Beiträgen von Wolfgang Vollmer, Eusebius Wirdeier)
- Herausgeber:
- Gestalter:
- Verlag: Emons Verlag
- Verlagsort: Köln
- Erscheinungsjahr: 2010
- Sprache: deutsch
- Format:
- Seitenzahl: 288
- Bindung:
- Preis: 78 Euro
- ISBN: 978-3-89705-790-6