Gartenheimat

Fotobücher über Haus, Garten und das Black Country

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Als Anwohner eines aus der letzten documenta in Kassel hervorgegangenen Gartenprojekts, bei dem unter dem Patronat der Kunst eine öffentliche Grünfläche zu einem öffentlichen Gemüse- und Blumenbeet umgestaltet werden durfte, sehe ich beim Blick aus dem Fenster oft Leute aus dem Viertel mit Spaten, Rechen, Pflanzkörben und Rasenmäher zwar nicht auf eigener Scholle, aber im eigenen Auftrag am Grün arbeiten. „Urban Gardening“ heißt diese auch andernorts geläufige Praxis. Gärtnern ist „in“, trotz aller Mühen, die damit verbunden sind. So erklärt sich vielleicht auch das Auftauchen gleich mehrerer Fotobücher zum Thema, die ich kurz vorstellen möchte. Es sind keine Gartenbauratgeber, sondern Bücher über Menschen und ihre Häuser und Gärten. Heimatbücher sozusagen.

Den Anfang machte schon vor einiger Zeit Andreas Weinand, dessen Buch The Good Earth über drei Senioren und ihr Gartenbauhobby aus einer zunehmen weniger distanzierten Beobachtung über fünf Jahren resultierte. Hingewiesen hatten wir schon auf Arche Bauen, das wunderbare Gartenlaubenbuch von Dietrich Oltmanns.

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Andy Sewell hat zu Hause fotografiert. Der Blick durch das Fenster über der Spüle in der Küche geht in den Garten, der je nach Jahreszeit sein Aussehen ändert. Diese Bilder strukturieren eine Folge von Idyllen: Felder, Wege, Ernten, Schlachtefest. Lakonisch und deutlich am Kitsch vorbei, eine Hommage an die Geborgenheit und an ein zufriedenes Leben, in dem man aufgeht, in dem man heimisch ist: Something like a Nest.

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Andrew Buurmans Buch handelt von Kleingärten. Die Besitzer posieren stolz mit Blumen und riesigen Gartenfrüchten, werkeln an Hütten und Äckern, säen und ernten, besuchen sich gegenseitig. Alles in freundlichen, warmen, erdigen Farben. Keine Werbeschrift für einen streng reglementierenden Schrebergartenverein, dazu ist zuviel Individualität und Improvisation im Spiel.

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Das Black Country ist laut Wikipedia ein von Kohleabbau und Industrie (ehemals?) gebeutelter Landstrich bei Wolverhampton in England; der Name ist sozusagen Programm. Die Kulturinitiative Multistory hat es sich zum Ziel gesetzt, mit den „bestmöglichen“ Künstlern zum Wohle der Region zu arbeiten. Zum Beispiel mit Martin Parr, der nicht nur alle Fotos für ein ironisch im charmant-unbeholfenen Provinz-Stil gestaltetes Magazin über und für Frauen gemacht hat und bislang vier warmherzige Filme über Themen der Region gedreht hat, sondern auch noch ein ganzes Buch über das Leben im Black Country vorgelegt hat. Der Mann mit der riesigen, preisgekrönten Porreestaude auf dem Titel deutet es an: Kleingärten sind ein dort wichtiges Thema, grüne Oasen, die nicht nur Erholung sondern auch konkreten Nutzen versprechen.

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Susie Parr ist eine renommierte Autorin von Fachbüchern. Auch sie hat im Black Country gearbeitet und eine Art Gesamtkunstwerk zum Thema Kleingärten verfasst und teilweise auch fotografiert. Die Black Country Allotment Society bekam jetzt nicht nur eine Chronik nebst kurzgefasster Geschichte des Kleingartenwesens in Großbritannien, sondern auch ein multiperspektivisches Portrait der regionalen Schrebergärtenszene. Ein Box aus Wellpappe enthält eine postergroße Orientierungskarte, neun Hefte mit je bis zu 32 Seiten, einen Satz Postkarten, eine DVD mit einem Film über Bienenzüchter (darunter Volker, der aus Deutschland ins Black Country gezogen ist), eine Tüte Blumensamen, einen Bleistift und drei „plant markers“, was auch immer man damit im Garten machen kann. Heft 3 ist ein reiner Bildband über die Kleingärtner, die anderen sind durchgehend mit Fotos illustriert und haben in der Mitte jeweils eine Aufklappseite mit einem Fotocluster zu jeweils einem zum Heft passenden Thema: Gartenanlagen, Kochen mit den geernteten Früchten, Unkraut, Hütten, improvisierte Garteneinrichtungen und ein Portrait der Hobbygärtnerin Alison. Das aufwändig gestaltete und produzierte Objekt dient nicht zur zur Beschreibung und Erforschung der Kleingartenidee im Black Country, sondern auch zur Stiftung von Identität und Selbstbewusstsein. Die typischen Fotomotive in Kleingärten sind begrenzt – Susie Parr und ihre Mitstreiter haben sich davon nicht abhalten lassen, eine unverwechselbare Publikation zu schaffen, die zeigt, wie man mit den Menschen und für die Menschen vor Ort ein wunderbares Erinnerungsstück schafft. Ach ja, Susie Parr ist die Ehefrau von Martin Parr – die vielen Fotobücher im Hause Parr könnten eine Rolle dabei gespielt zu haben, die Arbeit über die Kleingärten so liebevoll ausgestattet zu publizieren wie geschehen.

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Am Ende bleibt eine Zwickmühle für den Garten- und Fotobuchfreund: Soll man im nächsten Frühjahr das in der Allotment-Box enthaltene Tütchen mit den Wildblumen-Samen aussäen, um sich im Sommer von englischer Blütenpracht überraschen zu lassen oder doch lieber das Tütchen unangetastet lassen, um die Vollständigkeit des Buchobjekts zu erhalten?

 

Die genannten Bücher in der Reihenfolge ihres Erscheinens (alle Texte in Englisch soweit nicht anders geannnt):

Allotments
Andrew Buurman (Text und Fotos)
Gestaltung Peter and Paul
Dewi Lewis Publishing, Stockport 2009
nicht paginiert, Leinen mit montierter Abbildung, 25 £
ISBN 978-1-904587-73-6

The Good Earth
Andreas Weinand
Peperoni Books, Berlin 2013
illustriertes Hardcover
144 S., deutsch, englisch, 40 €
ISBN 978-3941825505

Black Country Women
Martin Parr (Fotos), Margaret Drabble u.a. (Texte)
Gestaltung www.surely.uk.com
Multistory, ohne Ort, 2013
illustriertes Softcover, ca. 15 £
ISBN 978-0-9563457-7-6

Something like a Nest
Andy Sewell (Fotos)
Ben Platts-Mills (Text)
Gestaltung Ivan Markovic
illustriertes Hardcover mit transparentem Schutzumschlag
Eigenverlag, ohne Ort, 2014, 40 £
ISBN 978-0-9568923-1-7

Black Country Stories
Martin Parr (Fotos und Text)
Gestaltung Dewi Lewis Publishing
Dewi Lewis Publishing, Stockport 2014
illustriertes Hardcover, 140 S., 30 £
ISBN 978-1-907893-63-6

Martin Parr´s Black Country Stories
vier Filme von 2011, 2013 und 2014 auf einer DVD mit illustriertem Booklet
Multistory, ohne Ort, 2014, 20 £ (plus Versand)

Black Country Allotment Society
Susie Parr (Text und Fotos)
weitere Fotos von Phil Brook, Emma Case, Emma Chetcuti, Laura Dicken
Gestaltung Bridget Long
Multistory, ohne Ort, 2014
Pappschachtel mit neun Broschüren, einer Landkarte, einer DVD, einem Bleistift, einer Tüte Blumensamen und drei „plant markers“, 19 £ (plus Versand)
keine ISBN

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