Ohnewitz im Sommerloch

Seltsame Ortsnamen als Thema für ein Fotobuch

Karl_Cover

Am 24.3.2014 berichtete das Hamburger Abendblatt ganzseitig über ein Fotobuch, dessen Autoren folgendermaßen charakterisiert werden: „Sie sind jung, sie sind ein Paar und haben ziemlich wenig Geld. Aber sie haben lauter lustige, spannende, außergewöhnliche Ideen, von denen sie hundertprozentig überzeugt sind.“ Eine dieser Ideen war es, Orte in Deutschland aufzusuchen, die seltsame Namen haben: Kotzen, Kummer, Machtlos, Pissen, Rom, Amerika, Ohnewitz, Sommerloch etc. Beate Brosche (* 1964) ist studierte und preisgekrönte Fotografin, Michael Orthwein (* 1965) „hat visuelle Kommunikation studiert“ und ist seit 2007 Professor für Computeranimation. Das Buch, das die beiden vorgelegt haben, könnte, jedenfalls nach dem ausführlichen Beitrag im Hamburger Abendblatt, richtig spannend sein und einen ungewöhnlichen Einblick in die deutsche Provinz ermöglichen: Nach 15 Jahren Reisen sei ein „skurril anmutender Bildband“ entstanden, „sie fotografieren am 11.August 1999 die Sonnenfinsternis in Katzenhirn, später dann einen Feuermelder in Rom neben der Ankündigung des Osterfeuers und schwelgen im Getränkehimmel von Wassersuppe… Auf einmal interessieren sich Verlage für diese besondere Fotoreportage… Aber wir wurden seitens der Verlage mit zahlreichen Vorhaltungen, Vorgaben, Änderungswünschen – ja, ausgeübten Zwängen – konfrontiert“, sagt Herr Orthwein. „Also haben wir alles selbst gemacht“. Spätestens die irritierten und unwilligen Reaktionen der Verleger hätten die bestimmt nicht unerfahrenen Autoren – beide Medienprofis – stutzig machen müssen. Selbst gemacht ist nämlich nicht immer gut und richtig. Ich habe mir aufgrund der Rezension das Buch gekauft und frage mich jetzt, was eigentlich die Großstadtzeitung dazu bewogen hatte, diesem mageren Werk einen solch üppigen Beitrag zu widmen.

Karl_Grönland

Es wird nicht verschwiegen, dass man bei dieser Eigenproduktion mit „technischen Einschränkungen“ zu kämpfen hatte, und, in der Tat, diese machen sich deutlich bemerkbar. Der Druck erfolgte „on demand“ in ziemlich flauem Schwarzweiß auf extraweißes Standardpapier wie aus dem Copyshop. Das Layout sieht aus wie mit der Textverarbeitung gemacht (die ein Bild immer automatisch mittig auf die Seite platziert), die langweilige Typographie entstand aus einem Standardschriftsatz des Computers, die Bindung ist labberig. Die Fotos werden mit schwarzen Rändern präsentiert, eine Gestaltung, die in grauer Vorzeit der engagierten Autorenfotografie zum Ausdruck bringen sollte, dass man, Ehrensache, in der Dunkelkammer immer das gesamte Negativformat vergrößert. Die Fotos: jede Menge Orts- und andere Schilder, die beweisen, dass es Schilder mit diesem Namen tatsächlich gibt, viele Winkel mit Bänken, Blumen, Findlingen und sonstiger Deko, die an eine Bestandaufnahme aus dem Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ erinnern. Das ist selten lustig und fast nie witzig. Denn allein der an Fotos geführte Beweis, dass Orte dieser Namen existieren, ist nicht Konzept genug, um daraus ein Buch zu gestalten. Die Autoren hätten auf die Leute aus den Verlagen hören sollen, die das Buch im Prinzip interessant fanden, aaaber…. Und gleich nachfragen sollen, warum es die Verleger dann doch nicht machen wollten.

Karl, Marx und Moritz ist ein gutes Beispiel dafür, dass man eben nicht aus beliebigen Fotos ein gutes Fotobuch machen kann, jedenfalls dann nicht, wenn das Konzept nicht weit genug trägt und vor allem die Gestaltung und Produktion nicht stimmen. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass das Billige, Selbstgemachte zum Gelingen des Buches zwingend nötig gewesen wäre. Vielleicht hätte sich die Aussage durch einen bewussten Rückgriff auf die Ästhetik von dörflichen Festschriften und provinziellen Bildbänden in Richtung Ironie steigern lassen. Nicht eine Spur davon, nein, hier wird krampfhaft versucht, das Schmunzeln des Betrachters irgendwie zu erzwingen. Schade um die schöne Idee.

Karl_Schabernack

Karl_Kotzen

PS Ach ja, die Ortsnamenklassiker Lieblos, Sorge und Elend fehlen tatsächlich. Einen weiteren schönen Ortsnamen kann ich mir nicht verkneifen zu nennen, weil er einen früheren Arbeitskollegen immer wieder zu ungehemmter Heiterkeit animierte: Thurnhosbach. Nichts wie hin, denn dort finden sich bestimmt komische Ortsschilder, peinlich-rustikale Sitzgruppen, ein seltsames Feuerwehrgerätehaus oder eine lustige Thurnhalle zum Fotografieren…

(Zitate aus der Rezension von Alexander Schuller in: Hamburger Abendblatt, 24.3.2014, S.6, oder online hier)

Karl_Ohnewitz

  • Titel: Karl, Marx und Moritz
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Beate Brosche, Michael Orthwein
  • Textautor: Beate Brosche, Michael Orthwein
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Beate Brosche, Michael Orthwein
  • Verlag: CreateSpace / Amazon Distribution GmbH
  • Verlagsort: Leipzig
  • Erscheinungsjahr: 2014
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 218
  • Bindung: illustriertes Softcover
  • Preis: 18,18 Euro
  • ISBN: 978-1494840389

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