Visuell-poetisches Experiment

Nora Gomringer und Andreas Herzau setzen den Bamberger Symphonikern ein sehr persönliches Denkmal

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Die meisten Menschen ließen sich Musik auf Hostien kniend darreichen, bemerkte einmal der Pianist und Jazz-Kritiker Michael Naura. Will sagen: Sie erstarren vor Ehrfurcht. Vor allem im Klassikbetrieb mag diese Beobachtung nach wie vor zutreffen. Schon die passende Kostümierung ist da ja ganz wichtig. Schaulaufen im Parkett, Ballkleid, Frack, sehen und gesehen werden. Die Musik mag dann letztlich zweitrangig sein und man pflegt die Attitüde der Bewunderung.

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Die Gefahr, dass ein Buch über ein weltberühmtes Sinfonieorchester zur langweiligen Hochglanz-Jubelbroschüre gerät, ist in unserer Hostienkultur denn auch keine geringe. Dass es ganz anders geht, beweisen der Fotograf Andreas Herzau und die Lyrikerin und Rezitatorin Nora Gomringer: Beide waren eingeladen, mit den Bamberger Symphonikern zu reisen und dieses Buch zu machen. Zum 70. Geburtstag des Orchesters durchkreuzen sie alle Erwartungshaltungen an ein solches Projekt und wagen ein visuell-poetisches Experiment, bei dem sie versuchen Musik, Fotografie und Sprache in Einklang zu bringen. „Einklang“ ist das richtige Wort. Was die in Bamberg lebende Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin schreibt, klingt, und schwingt, hat poetische Kraft und assoziative Bildlichkeit, ist genau beobachtet und weckt Neugierde, ist scharfsinnig und klug. Das alles trifft auch auf Herzaus Fotografien zu, der dem Orchester, seinen Musikern und dem Chefdirigenten Jonathan Nott seine Referenz erweist, ohne sich anzubiedern. Er inszeniert sie nicht als Genies, die im Olymp des Kulturbetriebs ein entrücktes Eigenleben führen, sondern zeigt sie als hochkonzentrierte Leute bei harter Arbeit. Auch das Publikum bezieht er mit ein, das er mit ironischer Distanz, aber nie entlarvend beobachtet. Nähe und Ferne, Intimität und Distanz, Bewegung und Stillstand, Blicke hinter und vor die Kulissen, Details und das große Ganze – das ist beste Reportagefotografie in Schwarz-Weiß und Farbe. Medias in res: Die Bilder sind als fortlaufendes Band randlos, also seitenfüllend aneinandermontiert, prallen quasi aufeinander, damit Gedanken und Fantasie Haken schlagen können, bisweilen ergänzt durch Worte, Sätze und kleine poetische Streiflichter. Ein kurzes Vorwort von Gomringer und ein längeres Orchester-ABC (hier ohne Fotos) vermitteln die Faszination, die dieser Klangkörper auf die Autorin ausübt.

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Es gibt zu viele gestalterisch belanglose Fotobücher. Dieses gehört eindeutig nicht dazu. Hier zeigen zwei unterschiedliche, aber offensichtlich gut aufeinander eingespielte (noch so eine Metapher) Künstler, was möglich und nötig ist: mit einem sehr persönlichen Fotobuch die Augen zu öffnen, die Sinne zu schärfen und den Verstand zu nähren.

  • Titel: bamberg symphony
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Andreas Herzau
  • Textautor: Nora Gomringer
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Martin Schüngel
  • Verlag: Hatje Cantz
  • Verlagsort: Ostfildern
  • Erscheinungsjahr: 2016
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 152
  • Bindung: Leinen, illustrierter Schutzumschlag
  • Preis: 39,80 Euro
  • ISBN: 9783775741125

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