Fotobücher, die wirklich originell gestaltet sind und visuelle Überraschungen bieten, gibt es nicht so viele. Bücher also, bei denen die Anordnung von Fotos und Texten eine in sich stimmige konzeptionelle Einheit auf höchstem Niveau bildet. So ein Buch ist Mit vier Augen – Das Fotoatelier Luzzi und Michael Wolgensinger. Wir entdecken eine ungewöhnliche, aber mit Einfühlung und Augenmaß gestaltete Monografie. Und zugleich entdecken wir ein nahezu vergessenes Künstlerpaar, das – mindestens – in der Schweiz still Fotogeschichte mitgeschrieben hat und „eine Zürcher Institution“ war (Einleitung). Durch sein besonderes Layout ist der Band eine angemessene Würdigung eines gemeinsamen Lebenswerks.
Michael (1913-1990) und Luzzi Wolgensinger (1915-2002) lernten sich in den 1930er Jahren in der neugegründeten Fotoklasse an der Kunstgewerbeschule Zürich kennen. Ihr gemeinsamer Lehrer war der legendäre Hans Finsler, einer der wichtigsten Vertreter der Neuen Fotografie und der Neuen Sachlichkeit. 1936 gründeten sie ihr erstes gemeinsames Atelier in Zürich und erhielten Aufträge in den Bereichen Werbe-, Sach- und Pressefotografie. Sie bildeten Fotografen aus, ihr berühmtester Schüler war kein geringerer als Robert Frank. Ausgedehnte Foto-Reisen führten sie nicht nur wiederholt durch ihr Heimatland, sondern u.a. auch nach Finnland (1939), Elba und Spanien (1956), Siam (1959) und Nepal (1964). Diese Reisen dokumentierten sie mit beeindruckenden Fotobüchern. Darüber hinaus publizierten sie zu Architektur, Industrie und Gewerbe, zu Volkstum, Theater und Kabarett. Auch dem Film wandten sie sich zu: Schon 1940 erschien ihr erster Dokumentarfilm – eine Auftragsarbeit über den Schweizer Nationaldichter Gottfried Keller. Kurz, sie haben sich nie auf ein fotografisches Genre festgelegt. Ihre gemeinsamen Interessen waren breit gestreut und in allen Bereichen leisteten sie Herausragendes, wobei ihnen stets ein experimenteller Ansatz zu eigen war, in dem sich Kreativität, Einfühlung und Ideenreichtum manifestieren.
Dieses Buch ist zweifellos eine Hommage und dokumentiert alle Bereiche ihres künstlerischen Schaffens gleichberechtigt jeweils mit einem kurzen einleitenden Text und einer Bildstrecke. Das auf den ersten Blick verwirrend wirkende, aber eigentlich ganz einfach konzipierte, originelle Layout lässt nie einen Zweifel daran, woher die Bilder stammen, egal, ob es sich um Einzelabzüge handelt, ob sie aus den spiral- oder ringgebundenen Arbeitsbüchern des Ateliers oder aus den gedruckten Bildbänden reproduziert wurden oder ob man sie als Screenshots den Filmen entnahm.
Erstaunlich ist, dass Michael und Luzzi Wolgensinger in den einschlägigen Fotolexika und -geschichten entweder gar nicht oder nur am Rande erwähnt werden. Weder in Michael Koetzles noch Reinhold Mißelbecks Lexika tauchen sie auf. Auch nicht bei Parr und selbst in Schweizer Fotobücher werden sie lediglich am Rande genannt, aber keins ihrer Fotobücher vorgestellt. Die vorliegende Neuerscheinung schließt auf besonders gelungene Weise eine empfindliche Lücke.
- Titel: Mit vier Augen
- Untertitel: Das Fotoatelier Luzzi und Michael Wolgensinger
- Bildautor: Luzzi Wolgensinger, Michael Wolgensinger
- Textautor: Katharina Lang, Guido Magnaguagno, Lea Wolgensinger
- Herausgeber:
- Gestalter: Valeria Bonin, Diego Bontognali, Nadine Olonetzki
- Verlag: Scheidegger & Spiess
- Verlagsort: Zürich
- Erscheinungsjahr: 2019
- Sprache: deutsch
- Format: 32,5 x 24,5 cm
- Seitenzahl: 228
- Bindung: illustriertes Hardcover
- Preis: 58 Euro
- ISBN: 978-3858814791