„Have Fun“ in Tirol

Tourismus im Winter

Winter_Cover

Endlich passt das Wetter, um zwei Winterbücher vorzustellen. Beide handeln vom Tourismus in den Bergen, beide wurden von offiziellen Stellen in Tirol gefördert.

Lois Hechenblaikner stammt aus Tirol, wo traditionell der Wintersport einen hohen Stellenwert hat. Er nähert sich diesem Thema mit kritisch-ironischer Distanz. Um die Berge für die Talfahrten nutzbar zu machen, sind Korrekturen an der Landschaft notwendig. Und wenn gerade kein Schnee da ist, muss welcher hergestellt werden. Tourismus braucht Verlässlichkeit. Der Fotograf ging für seinen Bildessay vor allem der Frage nach, wie man die Alpen so umgestalten kann, das Wintersportvergnügen unabhängig vom Wetter planbar zu machen. Bauarbeiten an den Pisten, diffizile Schneekanonentechnik und auffällige Infrastrukturen wie Lifte, Leitungen, Skibars und nicht zuletzt die anonymen Nutzer werden in nuancierter Farbigkeit herauspräpariert. Die Schneetrassen halten auch dann, wenn die Nachbarwiese noch oder schon wieder grün ist. Erschütternd, dass man für ein wenig Wintersport so viel Natur opfert. Das Ambivalente an Hechenblaikners Arbeit ist, dass der kritische Unterton augenfällig ist, es aber trotzdem oder gerade deswegen großen Spaß macht, sich diese Bilder anzusehen. Im schnörkellos sachlich gestalteten Buch sind die Bilder nach Sujets gruppiert: Pistenbau, Schneeproduktion, Schneereste, Infrastruktur, Gaudi, Danach. Unbedingt ansehen: Unter dem Schutzumschlag überrascht ein Einbandüberzug aus weißem Schneeglitzerleinen!

Sight-_Seeing 2 ist die Winter-Fortsetzung eines exaltiert gestalteten, als innovativ leicht misszuverstehenden Sommer-Buches über den Tourismus in Tirol. Zugrunde liegt die Fortführung eines Gemeinschaftsprojektes mehrerer Fotografen. Das neue Buch fällt neben der albernen Titeltypographie mit -_ wieder durch eine Besonderheit im Layout auf, denn die auf einer Doppelseite abgedruckten Bilder stoßen ohne Rand aneinander (sofern mehr als ein Bild pro Seite verwendet wurde). Das macht aus Einzelbildern so etwas ähnliches wie Fotomontagen und die Wirkung erinnert an Kacheln, bei denen man die Fugen vergessen hat. Das Design des Buches dominiert in diesen Fällen die Fotos, die Layouter werden damit wichtiger als die Fotografen. So etwas ist z.B. aus dem Magazinjournalismus und aus der Werbung bekannt und ist nicht per se schlecht. Und hier? Im Gegensatz zu Hechenblaikners vergleichsweise lakonischem Buch überwiegt bei Sight-_Seeing 2 der Charakter eines Kaleidoskops, einer Wundertüte. Schön und hässlich zugleich scheint dieses Tirol zu sein, es kommt nur auf Ort, Zeit und Perspektive an. Es sieht so aus, als ob diese Multiperspektivität wie bestellt an die Tirol-Werbung geliefert und gedruckt wurde. Erfreulich zu sehen, dass man im Land Tirol derweil den Blick für Projekte wie das von Hechenblaikner nicht verloren hat.

  • Titel: Winter Wonderland
  • Untertitel: 
  • Bildautor: Lois Hechenblaikner
  • Textautor: Gerhard Schulze, Wolfgang Ullrich
  • Herausgeber: 
  • Gestalter: Eskildsen/Hechenblaikner/Steidl/Whyte
  • Verlag: Steidl
  • Verlagsort: Göttingen
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch, englisch
  • Format: 
  • Seitenzahl: (ohne Paginierung)
  • Bindung: Leinen, illustrierter Schutzumschlag
  • Preis: 38 Euro
  • ISBN: 978-3-86930-376-5 (dt) oder 978-3-86930-284-3 (en)
  • Titel: Sight-_Seeing 2
  • Untertitel: Winter in Tirol
  • Bildautor: Hans Herbig, Verena Kathrein, Jörg Koopmann, Regina Recht, Sebastian Schels, Alexander Ziegler
  • Textautor: Josef Margreiter (Vorwort), Wolfgang Scheppe, Raoul Schrott
  • Herausgeber: Wolfgang Scheppe für die Tirol-Werbung
  • Gestalter: Wolfgang Scheppe mit Andrea Buran
  • Verlag: Hatje Cantz
  • Verlagsort: Ostfildern
  • Erscheinungsjahr: 2012
  • Sprache: deutsch
  • Format: 
  • Seitenzahl: 208
  • Bindung: illustriertes Hardcover
  • Preis: 35 Euro
  • ISBN: 978-3-7757-3453-0

2 Antworten zu „Have Fun“ in Tirol

  1. Die besondere Schreibweise von Sightseeing geht auf den amerikanischen Kulturkritiker und Bildtheoretiker Daniel J. Boorstin zurück, der speziell die französische Philosophie des 20. Jahrhunderts grundsätzlich beeinflusste. Boorstin wies als erster darauf hin, dass der mit der graphischen Revolution ins Leben getretene Ausdruck Sightseeing eine Verdopplung formuliert: Was man sieht, ist ein vorausgesetztes je schon Gesehenes und als fertiges Blickregime Angebotenes. Man sieht nur eine gesellschaftlich vorgefertigte Sicht. Um die unproblematische Lesart des zur Gewohnheit gewordenen Ausdrucks aufzubrechen, wurden die typographischen Unterbrechungen hinzugefügt. Sie sind ein elegantes Mittel, das charakteristische Paradox des Wortes offenkundig zu machen, zumal für jene, denen der Boorstin Bezug, der später etwa auch von Luhmann aufgegriffen wurde, verborgen bleibt. Wiegand empfand den Code als albern, weil er ihn nicht verstanden hat.

    Was den in dieser Rezension erhobenen Vorwurf ans Layout angeht, dem “Manierismus” und generell die Überwältigung der Fotografien vorgeworfen wird: Es liegt hier eine merkwürdige Verwechslung vor, die eine klassische fotografische Monographie mit einem Projekt in einen Topf wirft, das einen Gegenstand hat, der nicht Fotografie heisst, sondern Landschaft. Bei Sightseeing – und darin liegt die ganze Pointe – geht es um eine Versammlung sehr unterschiedlicher Bildautoren mit sehr unterschiedlichem Hintergrund, die gemeinsam versuchten, zum Teil auch im Rahmen gemeinsamer Wanderungen, eine Landschaft auf neue Art und Weise zu erfassen. Es galt also vor allem anderen und im Gegensatz zu monographischen Portfolios, die Bilder zueinander in Beziehung zu setzen und miteinander reagieren zu lassen. Heterogene Bilder wohlgemerkt, mit unterschiedlichen Zugangsweisen, Gewichtungen, formalen Entscheidungen. Solche Bilder kann man nicht in das gleichgültige Nebeneinander der von einem weissen Passepartout gerahmten Einzelseiten bringen, die alles über denselben Kamm scheren. Zumal im Vordergrund des Erkenntnisinteresses das Territorium stand, das es neu zu begreifen galt. Beide Bücher entfalten also einen Raum und tun dies ganz buchstäblich: In einigen Fällen haben zwei der Bildautoren im gleichen Moment aber aus unterschiedlichen Bildwinkeln und von unterschiedlichen Standpunkten dasselbe Objekt fotografiert. Natürlich muss man solche Bilder, wie alle, die den Raum von unterschiedlichen Perspektiven her abtasten, zueinander ins Verhältnis setzen. Dafür sind von den Mitteln der Buchgestaltung her enge Grenzen gesetzt, die es freilich zu erproben gilt. So, wie das ganze Projekt aus einer engen und intensiv geführten Diskurs-Situation aller Beteiligten, der Herausgeber, Buchgestalter und Fotografen geboren wurde, so ist das Layout über einen sehr langen Zeitraum in einer Diskussion entstanden, die die Fotografen miteinschloss.
    Die besondere Leistung, des tatsächlich in der Geschichte der Buchgestaltung neuartigen Layouts des ersten Bandes, besteht darin, die Bezüge nicht nur innerhalb einer Doppelseite, sondern über ein ganzes Kapitel aufzuspannen.

  2. Pingback: Entblößung, Entblödung, Enthemmung | kasseler fotobuchblog